Ausblick
«Wir wollen mehr Leute dazu bewegen, Zug und Bus zu fahren»
Verwaltungsratspräsident Rudolf Stämpfli und CEO Bernard Guillelmon erklären, wie der Schweizer ÖV von einem gesunden Wettbewerb und einer starken BLS profitiert und welche Möglichkeiten die digitale Transformation der BLS eröffnet.
Die BLS hat in den letzten Jahren neue Linien in ihr Netz integriert – zuletzt im Dezember den Autoverlad am Simplon. Nun sollen bald Fernverkehrslinien von Basel nach Interlaken und Brig sowie neue RegioExpress-Linien hinzukommen. Weshalb will die BLS wachsen?
Rudolf Stämpfli: Die anstehende Erneuerung der Fernverkehrskonzessionen bietet der BLS die einmalige Chance, moderat zu wachsen. Der Bund hat signalisiert, dass er offen ist für einen Fernverkehr, der von mehreren Bahnen betrieben wird. Wir wollen unser Angebot für die Fahrgäste und die Bevölkerung in den Regionen rund um Bern ausbauen. Als zweitgrösste Schweizer Bahn kann die BLS zeigen, welches Potenzial in ihr steckt.
Wie sieht dieses Potenzial aus?
Bernard Guillelmon: Wir wollen dort wachsen, wo es aus Sicht der Fahrgäste und aus betriebswirtschaftlicher Sicht Sinn macht. Der Autoverlad am Simplon passt ideal in unser Liniennetz, weil wir bereits den Autoverlad am Lötschberg und den Regionalverkehr zwischen Brig und Domodossola betreiben. Unser Ziel ist, die fixen Kosten auf mehr Zugkilometer zu verteilen. So werden wir insgesamt als Unternehmen effizienter und wettbewerbsfähiger.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Bernard Guillelmon: Der RegioExpress Bern–La Chaux-de-Fonds wendet heute im Bahnhof Bern und steht dort 45 Minuten still. Wenn wir diesen Zug Richtung Berner Oberland und Brig weiterfahren lassen, steht er in Bern vielleicht noch ein paar wenige Minuten. Das heisst, dass für unsere Fahrgäste schnelle Direktverbindungen entstehen und die BLS von einem effizienteren Einsatz von Personal und Zügen profitiert. Indem wir die RegioExpress-Linien nicht mehr im Bahnhof Bern wenden, sondern durchbinden, wie wir im Fachjargon sagen, adaptieren wir unser erfolgreiches Modell bei der S-Bahn – dort nutzen wir das Potenzial unserer Züge bereits gut aus.
Den Fahrgästen bringt das neue umsteigefreie Verbindungen, der BLS mehr Effizienz. Wie aber profitiert das ÖV-System als Ganzes davon?
Rudolf Stämpfli: Es wird kostengünstiger. Wenn wir unsere Kostenstruktur verbessern, erreichen wir im Regionalverkehr einen höheren Kostendeckungsgrad und entlasten damit die Budgets von Bund und Kantonen. Der ÖV profitiert von einer starken BLS.

«Wenn wir unsere Kostenstruktur verbessern, erreichen wir im Regionalverkehr einen höheren Kostendeckungsgrad und entlasten damit die Budgets von Bund und Kantonen.»
Die BLS will einen minimalen Wettbewerb im Fernverkehr etablieren. Was bringt dieser Wettbewerb dem ÖV-System?
Rudolf Stämpfli: Das will nicht nur die BLS. Das will vor allem auch der Bund. Er wünscht ein Mehrbahnensystem nach der Formel SBB + X und hat verschiedene Bahnen eingeladen, sich an der Marktöffnung im Fernverkehr zu beteiligen. Daraufhin haben wir konkrete Vorschläge ausgearbeitet, wie wir das X ausfüllen können. Wir sind bereit, dem Schweizer Bahnsystem neue Impulse zu liefern.
Weshalb braucht das Schweizer Bahnsystem neue Impulse?
Bernard Guillelmon: Damit sich der ÖV in der Schweiz konsequent an den Bedürfnissen der Fahrgäste orientiert. Denn dazu zwingt uns eine gesunde Wettbewerbssituation. Bei der BLS verfolgen wir das Ziel, die Nähe zu den Fahrgästen zu stärken und sie in den Mittelpunkt unseres Schaffens zu stellen. So wollen wir zum Beispiel den persönlichen Service an Bord verbessern oder zeitgemässe Verpflegungsmöglichkeiten anbieten. Hier können wir uns mit guten Ideen von anderen Bahnen differenzieren und dem ÖV neue Impulse geben.
Wie viele Fahrgäste wechseln künftig dank freundlicher Reisebegleiter und eines breiten Getränkeangebots in den Zügen von der SBB zur BLS?
Bernard Guillelmon: Wettbewerb bringt nicht in erster Linie Vorteile für uns als BLS, sondern für den ÖV in der Schweiz – weil der ÖV attraktiver wird. Ein minimaler Wettbewerb spornt alle Bahnen an, bessere Angebote für die Fahrgäste zu entwickeln. Es geht uns nicht darum, die SBB auszustechen, sondern wir wollen mehr Leute dazu bewegen, Zug und Bus zu fahren.
Wäre dafür nicht ein Wettbewerb über den Preis zielführender?
Rudolf Stämpfli: Die vereinheitlichten Preise gehören zu den grössten Stärken des Schweizer ÖV und machen ihn europaweit einzigartig. Nur so ist es möglich, ein offenes ÖV-System zu betreiben. Nur so ist es möglich, mit einem einzigen Billett vom Engadin an den Genfersee zu fahren, obwohl dabei mehrmals das Verkehrsunternehmen gewechselt wird. Die Verkehrsunternehmen gestalten zusammen den Fahrplan aus und legen gemeinsam die Preise fest. Genauso ist es die Aufgabe der gesamten Branche, durch ein besseres Angebot mehr Fahrgäste zu gewinnen und so die Fahrzeuge besser auszulasten. Das steigert die Billetterträge und rechtfertigt letztendlich die hohen Investitionen in unser ÖV-System.

«Indem wir die RegioExpress-Linien nicht mehr im Bahnhof Bern wenden, sondern durchbinden, wie wir im Fachjargon sagen, adaptieren wir unser erfolgreiches Modell bei der S-Bahn – dort nutzen wir das Potenzial unserer Züge bereits gut aus.»
Ein Wettbewerb läuft derzeit auch um digitale Vertriebsplattformen. Die BLS ist mit den beiden Apps BLS Mobil und «lezzgo» im Rennen. Was bringt der Wettbewerb um diese digitalen Plattformen den ÖV-Kunden?
Bernard Guillelmon: Wie beim Wettbewerb um einzelne Bahnlinien gilt auch hier: Wettbewerb schafft Innovation. Das Ziel von Lösungen wie «lezzgo» ist es, allen Leuten die Benützung des ÖV zu vereinfachen. Sie steigen einfach ein und fahren los. Einfachheit ist ein riesiges Bedürfnis unserer Kunden. Der Wettbewerb wird dazu führen, dass sich am Markt die Lösung durchsetzt, die dieses Bedürfnis am besten befriedigt.
Rudolf Stämpfli: Wichtig ist hier auch die Branchensicht. Wir haben «lezzgo» entwickelt, weil wir verhindern wollen, dass branchenfremde Anbieter in den Verkaufsmarkt der Billette drängen. Die «lezzgo»-Technologie stellen wir auch anderen Verkehrsunternehmen zur Verfügung. So hat etwa der Zürcher Verkehrsverbund ZVV die «lezzgo»-Technologie in seine eigene App integriert.
Wo kann die BLS abgesehen von Vertriebsplattformen noch die Chancen der digitalen Transformation nutzen?
Bernard Guillelmon: Die digitale Transformation hilft uns, den Bahnverkehr effizienter abzuwickeln. Seit mehreren Jahren rüsten wir unsere Infrastruktur technisch auf, damit wir sie von der Betriebszentrale Spiez aus fernsteuern können. Ein ferngesteuertes Eisenbahnnetz können wir besser auslasten, als wenn Weichen und Signale örtlich bedient werden. Mit anderen Worten: Wir können auf dem gleichen Eisenbahnnetz mehr Züge fahren lassen.
Was dringend notwendig ist, denn die ÖV-Branche rechnet damit, dass die Fahrgastzahlen in den nächsten 15 Jahren etwa um einen Viertel zunehmen und damit auch deutlich mehr Züge auf dem Netz unterwegs sein werden. Kann die BLS auf ihrem Eisenbahnnetz das erwartete Verkehrswachstum dank der Fernsteuerung bewältigen?
Rudolf Stämpfli: Die Fernsteuerung ist unser Beitrag dazu, dass das gelingt. Aber natürlich braucht es auch Infrastrukturausbauten. Wir begrüssen die Stossrichtung des Bundesrats zum Ausbauschritt 2030 – und natürlich wünschen wir uns, dass der Ausbau des Lötschberg-Basistunnels noch darin Platz findet. Für jede Milliarde Franken, die in neue Infrastruktur investiert wird, steigen aber auch die jährlichen Unterhaltskosten um 40 Millionen Franken. Da ist es unsere Pflicht, dass wir dank digitaler Möglichkeiten die Auslastung unseres Eisenbahnnetzes laufend verbessern.